27.09.17

Wir lesen Kinderliteratur.

                                       Der Bohnen-Jim 

(gekürzt nach Christine Nöstlinger)

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Jim, und der hatte eine kleine Schwester, die Jenny. Die Jenny war fast noch ein Baby. Richtig sprechen konnte sie nicht.
Sie konnte erst einen Satz sagen. Der Satz hieß: „Das will Jenny haben!“
Jenny zeigte immer auf Jims Spielsachen und schrie:
„Das will Jenny haben!“ Und sie hörte erst zu schreien auf, wenn sie bekommen hatte, was sie wollte.
Eines Tages fand der Jim eine wunderschöne Bohne. Sie war groß und schwarz, mit weißen Streifen und rosa Punkten. Der Jim schmierte die Bohne mit Schmalz ein. 


Die Mutter sagte: „Jim, gib ihr doch die blöde Bohne!“
Die Bohne war aber nicht blöd, sondern wunderschön, und der Jim wollte sie nicht hergeben. Er machte eine feste Faust um die Bohne und hielt die Faust in die Luft. Die Jenny schrie und sprang nach der Faust. Und die Jenny war sehr kräftig und konnte sehr hoch springen.
Die Jenny biss den Jim in die Finger. Der Jim brüllte los und öffnete die Faust. Die Bohne fiel zu Boden und sprang unter den Schrank.
Die Bohne lag ganz weit hinten, an der Wand. Jennys Arm war zu kurz, um an die Bohne zu kommen. Jims Arm reichte.
Und da hatte der Jim einen Einfall. Er holte die Bohne hervor und steckte sie in den Mund.
Die Jenny versuchte trotzdem, die Bohne hinter Jims Zähnen hervorzuholen. Und der Jim biss zu! Aber dabei verschluckte er leider die wunderschöne Bohne! Sie rutschte ihm einfach den Schlund hinunter. Wahrscheinlich, weil sie mit Schmalz ein- geschmiert war. Schmalz macht nicht nur glänzend, sondern auch schlüpfrig.
Nach ein paar Tagen wurde dem Jim sonderbar im Bauch. Und in seinem Hals kratzte es. Und in den Ohren kitzelte es. Richtig übel war dem Jim.
Die Mutter holte den Arzt. Der Arzt sagte: »Jim, mach den Mund auf. Ich muss schauen, ob du einen roten Hals hast!«
Der Jim hatte keinen roten Hals. Er hatte einen grünen Hals. Der Arzt starrte in Jims grünen Hals. Er hatte noch nie einen grünen Hals gesehen. Das sagte er aber nicht.
******
So ging das zwei Wochen.
Dann erwachte Jim eines Morgens und spürte, dass da etwas über seine Lippen hing. Er sprang aus dem Bett und lief zum Spiegel. Aus seinen Ohren, aus seiner Nase und aus seinem Mund blitzte es grasgrün.
Kleine Blätter waren das!
Die Mutter holte wieder den Arzt. Der Arzt zupfte an Jims Blättern herum und sprach:
»Das ist ja eher ein Fall für einen Gärtner!«

So rief die Mutter nach einem Gärtner. Der kam und und sprach:
»Klarer Fall! Da treibt eine Bohne aus! Das muss eine wunderschöne Bohne gewesen sein!«
Das Grünzeug wurde immer länger und dichter.
Die Mutter konnte den Jim nicht im Haus behalten. Sie trug ihn in den Garten und setzte ihn ins Rosenbeet.
Gott sei Dank war Sommer. Der Jim fror nicht.
Manchmal war ihm sogar recht heiß. Dann spritzte ihn die Mutter mit dem Gartenschlauch ab. Manchmal regnete es. Dann kam die Mutter und hielt einen Regenschirm über ihn.

Dann begann der Jim zu blühen. Orangefarben waren seine Blüten. Und dann kamen die grünen Bohnen aus Jim.
Die Mutter pflückte jeden Tag ein Körbchen voll.  Es wurde schon Herbst und die Nächte waren recht kalt.
Eines Morgens waren die Bohnenblätter gelb. Zu Mittag waren sie braun. Und am Abend fielen sie zu Boden.
Der Gärtner kam und er wunderte sich überhaupt nicht.
»Bohnen sind einjährige Pflanzen«, sagte er. Er holte alle Ranken und Stängel von Jims Kopf und zog sie aus Jims Ohren und Jims Nase und Jims Mund.
Jim ging mit der Mutter ins Haus. Die Mutter öffnete den Küchenschrank. Sie zeigte auf sechzig Einsiedegläser voll grüner Bohnen. Sie sagte: »Jim, die sind alle von dir!«
Von nun an aß der Jim jeden Freitag, wenn die anderen Haferbrei bekamen, seine guten, grünen Bohnen.
Die Jenny saß vor ihrem Haferbreiteller und zeigte auf Jims grüne Bohnen und schrie: »Das will Jenny haben!«

Doch die Mutter sagte bloß: »Jenny, halt den Mund!«